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Michael und der weiße Hengst

Aktualisiert: 26. März


Aus dem Tagebuch der Erbsen-Prinzessin

“Mein liebster Mick! Du kannst mich nicht hören oder lesen, denn du bist mit meinem Vater in den Krieg gezogen, den ich aus tiefstem Herzen verabscheue. Ich kann dir nicht oft genug danken, dass du mich vor den Klostermauern errettet hast.

Ich glaube, ich wäre unglücklich geworden, und so muss ich sagen, dem Himmel sei Dank, dass er mir dich geschickt hat. Nie zuvor hatte ich dich an unserem Hof gesehen, und ich bin recht oft im Stall, obwohl das meine Mutter nicht besonders gerne sieht, denn zum Satteln ist das Gesinde zuständig. Ich aber verbringe gerne die Zeit bei den Pferden, nur um in ihrer Nähe zu sein, ihrem Schnobern zu lauschen, wenn ich die weichen Nüstern streichle und die warmen, beruhigenden Leiber striegle.

Ich sehe dich noch immer dort stehen, wie du meine Stute gesattelt hast für den Ritt ins Kloster, und ich war für einen Moment geblendet, du warst von sehr hoher Statur, du überragst mich heute noch um einen ganzen Kopf, und ich bin nicht gerade klein gewachsen. Du hattest einst dunkles Haar, doch es ist früh silbern geworden, und mit der Zeit wurdest du so hell wie dein Großvater, obwohl du etwas jünger bist als ich.

Du hast dir immer deine typische Geste bewahrt, das Haar aus der Stirne nach hinten zu streichen, wo es nicht lange bleibt und dir wieder in die Augen fällt. Ich liebe diese Geste, du machst sie meist unbewusst mindestens hundert Mal am Tag, wenn dich deine Haare in der Stirne stören. Man sagte mir, du kennst dich mit Pferden gut aus, weswegen du an unseren Hof kamst, sehr gut sogar, und niemand reite so wie du und mache mit sanfter Hand das widerspenstigste Pferd zum Lämmchen. Ich mochte es, wenn wir (züchtig) im Heu lagen, wenn sich dein Duft mit dem des Stalles vermischte. Mutter war darob sehr entzürnt, wenn sie ein Hälmchen Stroh an meiner Reitkleidung fand, denn es geziemte sich nicht, dass eine Prinzessin im Heu liegt, auch wenn es neben einem adeligen Pferdeknecht ist.


Seit du und mein Vater in den Krieg gezogen sind, ist es still am Hofe geworden, und ich lebe nur mehr in der Erinnerung, wenn unsere weißen Rösser gemeinsam über die Felder jagten, oder wenn du zu deinem Gut geritten bist und ich am Fenster saß und auf die Rückkehr des weißen Hengstes wartete. Da du kräftig und eines Ritters würdig wärst, hoffe ich, dass du noch am Leben bist. Dein Hengst ist das größte und beste im Stall, und wird dich sicher über manches Schlachtfeld tragen. Ich hoffe, dass du nicht nur über dein Leben, sondern auch das meines Vaters wachst. Fühle dich tausend Mal geküsst und umarmt…


gezeichnet, deine Liebste G.


PS: Sie wollen mich mit einem verhätschelten Knaben verheiraten, der kleiner und jünger ist als ich. Er fürchtet sich vor Pferden und hat weiße Hände wie Pudding. Er würde auf jedem Turnier eine Lachnummer abgeben. Eher friert die Hölle zu als dass ich mich ihm hingebe...."



Leider meinte es Fortuna nicht gut mit Mick und seinem Vater, denn auf der Rückreise von einem erfolgreich geschlagenen Krieg ereilte beide die tödliche Pest. Die Prinzessin saß tage- und wochenlang am Fenster, und als man ihr den Hengst herrenlos zurückbrachte, hüllte sie sich für den Rest ihres Lebens in schwarzes Gewand und hütete den Hengst wie ihr eigenes Kind bis zu seinem Ableben. Erst dann trat sie ein in das Nonnenkloster und nahm Abschied von einer Welt, die ihr die Liebsten genommen und sie so gestraft hatte.

video: Robert Addie




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Kontakt: Lady Aislinn

email: LadyAislinn@women-at-work.org

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