Wiener Memoiren
Ja, ich kann es nicht leugnen, ich bin ein Wiener Kind. Mein Großvater stammte zwar aus Böhmen und wurde erst dann in Wien ansässig, als er seine Frau Amalia, die aus Ybbs an der Donau stammte, kennenlernte.
Mit den insgesamt 10 Kindern, (die größten verließen bald das Nest, und eins brachte der Großvater in die Ehe mit) wohnten sie in der Pezzlgasse im 17. Wiener Gemeindebezirk, mit Lavoir und Toilette am Gang und Tischlerwerkstatt um drei Ecken, in der mein Großvater arbeitete. Er war handwerklich sehr begabt und ansonsten auch sehr rege bei meiner Großmutter.
Mein Vater war das jüngste Kind in dieser Großfamilie, wo man zu fünft in einem Zimmer schlief und Berge von Kartoffeln schälte, um die Mäuler satt zu kriegen.
Interessant, dass der Namensgeber der Gasse, Johann Pezzl, ebenso hieß wie mein Vater, den sie nur Hans nannten und nennen, und dass der Pezzl Schriftsteller war, nachdem er freiwillig das Kloster verlassen hatte, für das er bestimmt gewesen war. Später verfasste er eine satirische Darstellung des Mönchslebens, worüber er wiederum ein Studium an der Universität Salzburg verlassen musste und gelangte über die Schweiz nach einer Zensur seines Romans “Faustin oder das philosophische Jahrhundert” nach Wien. Wahrlich eine Weltreise für den in Bayern geborenen Satiriker.
Ich zitiere: “Johann Pezzl, dessen Werke von satirischer Schärfe und Sozialkritik gekennzeichnet sind, zählt zu den bedeutendsten Figuren der aufgeklärten Publizistik im katholischen Raum. Er bediente sich verschiedener literarischer Gattungen und verfasste unter anderem Briefromane, Reiseliteratur, Pamphlete sowie Biografien bedeutender Persönlichkeiten. Zudem betätigte er sich als Übersetzer aus dem Französischen und Englischen.”
Es gäbe noch so viel zu erzählen, darüber, wie mein Großvater in die Kavallerie kam oder warum sich reichere Herrschaften Stiefelknechte leisteten (echte, die ihnen das Pferd versorgten). Über die sogenannten Ziegelbeh’m, ich zitiere nochmals:
“Als Ziegelböhmen wurde die Arbeiterschaft der Ziegeleien im Süden Wiens des 19. Jahrhunderts bezeichnet, die überwiegend böhmisch und mährischer Abstammung war. Der Ausdruck wird meist in der Dialektform als Ziaglbehm verwendet.”
Auch der Name Sandler stammt aus dieser Zeit, es waren jene, die für die Präparierung der Ziegelformen zuständig waren, indem sie Sand in die Formen streuten, damit der Lehm nicht haften bleibt, sie bildeten das unterste Ende der sozialen Hierarchie.
Auch meine Großmutter buckelte Zeit ihres Lebens. Neben der “Aufzucht” von 10 Kindern war sie Hausmeisterin in der Pezzlgasse und später noch dazu Zeitungsausträgerin, die Pakete von Zeitungen auf dem Rücken frühmorgens zu den umliegenden Trafiken schleppte.
Mein Großvater lieferte zwar seinen Lohn getreulich ab und gönnte sich nur sonntags seine Virginia und ein Krügerl Bier, aber die Lebensumstände der damaligen Zeit kann man heute kaum mehr nachvollziehen, hat man sie nicht selber erlebt. Interessant, oder?
Ihr verwöhnten Herrschaften des 21. Jahrhunderts…..