Wäre dies ein Märchen, würde es wohl so beginnen:
Es war einmal eine launische Hexe, die mit ihren Nachbarn nicht in Frieden leben konnte. Manchmal tat sie kaum den Mund auf, ein ander Mal kam man selbst kaum zu Wort vor ihrem Redeschwall und ihrer Leutseligkeit. Sie wohnte in einem weißgekalkten Haus mit weißen Fensterrahmen, sodass dieses aussah wie ein Molch auf dem Trockenen.
In ihrem Gärtlein grub sie da und pflanzte dort, bis sie es schier zu Tode pflegte. Auf ihrem geheiligten Rasen durfte jedoch kein Blümlein gedeihen, kein Schatten fallen und kein Blatt Laub liegen. War ein braunes oder fürwitziges Hälmchen zu sehen, eilte sie mit allerlei Werkzeug einher und malträtierte ihn solange, bis er schließlich völlig kapitulierte.
Natürlich war des Nachbars grüne Hecke am Malheur schuld, denn diese stahl im Frühjahr in voller Blätterpracht ein klein wenig vom Licht, von der Sonne und somit vom Lebensgeist des Rasens.
Mit eine riesigen Kneifzange rückte die Hexe der Hecke zu Leibe, säbelte hier und dort in das Gebüsch und in ihrem Zorn riesige Löcher, sodass der ach so schuldige Nachbar ihr hochrotes Gesicht sehen konnte und ihre verkniffenen Lippen und ihr wütendes Schnauben.
Doch nach ein paar Wochen war die Hecke wieder zugewachsen, und das Theater fing von vorne an. Zehn Mal musste ihr Gärtner anrücken, um den Rasen zu begutachten, eine genaue Diagnose stellen und zum Schluss kommen, dass nur die Nachbarshecke Schuld war. Behauptete ein zweiter hinzugezogener Gärtner das Gegenteil, wurde er kurzerhand entlassen, gemieden und verflucht.
Des Nachbars langer rothaariger Gärtner seufzte abgrundtief und köpfte die Hecke abermals um ein großes Stück, doch das regte sie zu noch mehr Wachstum an, als sei ein Zauber in sie gefahren, ein kleines grünes Teufelchen, das sich ins Fäustchen lachte, wenn die Blätter besonders saftig wurden und die Blüten üppig und leuchtend zur Hexe hinüberwuchsen.
Dann wurde wieder eifrig geschnipselt und geknipst, wurden mit brachialer Gewalt Zweige geknickt und auf des Nachbars Grund befördert, bis das Teufelchen sich vor Lachen den Bauch hielt.
Wenn der lange Gärtner beim Alten Einzug hielt, verzog sich die Hexe in ihr Knusperhäuschen, denn sie mochte den Langen nicht leiden, weil er sich über sie lustig machte. Das machte wiederum den langen Lulatsch so sympathisch, überlegte das Teufelchen, und irgendwie musste er dem genervten Nachbar zur Seite stehen. Als das nächste Mal, furiengleich, die Hexe aus dem Haus stürzte, schnippte der grüne Kerl mit den Fingern, und sogleich sprossen aus den Ohren der Hexe lange knorrige Triebe, aus den Schuhen dicke Äste, die sich im Boden festankerten und viele bunte Blüten aus der Nase, bis sie keine Luft mehr bekam, aber festverwurzelt am Boden steckenblieb.
Zu guter Letzt und ihrem Entsetzen krabbelte eine monströse Zecke aus dem Blattwerk und begann an ihrem Hals zu saugen, bis sie fett und rund wurde und groß wie ein Blasebalg. Die Hexe gurgelte noch etwas, dann verdorrte sie wie die abgestorbenen Heckenäste auf der anderen Seite.
Und so blieb sie stehen, und wenn sie der Wind nicht verworfen hat, steht sie noch heute dort, ein altes, knorriges, verwachsenes Stück Holz und ohne Blätter, ihrem Rasen zuliebe…