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AutorenbildLady Aislinn

Insel der ziemlich dünnen Puppen



Es war einmal ein einsames Eiland, fern von aller Zivilisation, verwunschen und gemieden, da allerlei seltsame Geschichten von jenen erzählt wurden, die sich glücklich schätzen konnten, wieder heil auf dem Festland gelandet zu sein.


Es ging bald die Mär, dass dort furchtbar dünne, aber menschenfressende Gestalten hausten, und die so dünn waren, weil sich nur selten Besucher auf die Insel verirrten. Die Bewohner, so erzählte man sich, bereiteten Innereien in großen Töpfen auf dem Feuer zu, garniert mit Suppengrün und anderem Gemüse.

Unser Zappel hatte wohl davon gehört, dem aber keinen Glauben geschenkt, und da er im Alter gerne von Ost nach West und retour reiste, um diverse Geschäfte zu erledigen. (Ja, unser Zappel wurde zwar älter und etwas fülliger, blieb aber weiterhin zappelig unruhig und unternehmungslustig), überlegte er einen Abstecher auf die einsame Insel, zusammen mit seinem neuen Freund, dem langen Lulatsch, denn Zausel war bekanntlich in seinem Fingerhut verstorben und in einer Walnuss begraben worden.

Zappels Größe korrespondierte vortrefflich mit der des langen Lulatsch, der auch schon in die Jahre gekommen war, aber im Gegensatz zu Zappel ein geruhsameres Leben führte. Doch genug der Abschweifungen.


Wie sie auf die Insel gekommen waren, blieb stets ein Geheimnis, aber Lulatsch hatte Bärenkräfte erworben durch tägliche Ertüchtigungen, und so war es nicht verwunderlich, dass er ein guter Ruderer war. Außerdem bewegte er sich geschmeidig wie eine Kobra durch den Urwald, während Zappel ständig den Kopf einziehen musste, um durch das Dickicht zu gelangen, was wiederum den Vorteil mit sich brachte, dass er Abdrücke kleiner Spuren früher als Lulatsch sah.

Allen Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz stand plötzlich wie aus dem Nichts gekommen ein blasses und äußerst mageres Ding vor ihnen, nicht besonders freundlich gesinnt, denn es klimperte mit den Augen, als würde es die Besucher aufs Genaueste taxieren oder die Größe von Herz und Lunge einschätzen. Das Püppchen war von oben bis unten tätowiert, und seine Stehfrisur nicht eben von großer Grazie. Die riesigen Augen, dick von Kohle (oder Menschenblut?) umrandet, sahen bedrohlich aus, desgleichen zeigte sich der kleine Mund kein bisschen freundlich, sondern trotzig nach unten.

Zappel brach der Schweiß aus, nicht nur wegen der feuchtwarmen Temperaturen, denn das Püppchen kam steifbeinig auf sie zu, worauf der lange Lulatsch sofort Kampfstellung einnahm und laut Ha und Ho rief, im Gleichklang seiner rudernden Arme.

So sehe also Verteidigung a la Lulatsch aus, dachte Zappel etwas nervös, da fange er doch lieber zu flirten an, das komme bei Frauen immer besser an. Das Püppchen blickte zuerst ihn, dann Lulatsch aus ihren großen Augen an, als überlegte sie, wenn sie zuerst verspeisen wolle. Zappel, offensichtlich seiner Flirtkünste beraubt, trat zurück, stolperte und fiel geradewegs in eine künstlich angelegte Menschenfalle. Was dann geschah, fährt den beiden noch heute sprichwörtlich in die Glieder:

Eine ganze Brut dünner Püppchen kam aus dem Wald hervor, einen riesigen Topf und Brennholz mitschleppend, auch Grünzeug und Kochlöffel. Jetzt geriet auch Lulatsch in Panik, unter Ächzen und Stöhnen half er Zappel aus der Grube, schrie wieder HU und Ha, und rannte mit ihm in die entgegengesetzte Richtung davon. Als sich Zappel umdrehte, ob sie wohl verfolgt würden, sah er mit Entsetzen, wie die vielen Püppchen über das andere herfielen und knackend ihre Knochen brachen, und sie knackten leicht, weil so wenig Fleisch daran hing.


“Du elende Versagerin”, riefen sie mit ihren dünnen Stimmchen, “du hast uns ein herrliches Mahl verbockt, jetzt musst du eben daran glauben. Meinst du, wir sahen nicht, wie du mit ihm geliebäugelt hast und wie er dir schöntat?" Mehr wollte Zappel gar nicht hören, obwohl er insgeheim ein bisschen stolz auf sich war, als sie sich in Sicherheit wieder auf dem Festland befanden, nachdem sie um ihr Leben gerudert waren. Er hatte eine Menschenfresserin becirct, das gelänge ja nicht alle Tage, sagte er zu Lulatsch, welcher darob grinsend sein ergrautes Haupt schüttelte, und die beiden gingen wieder getrennte Wege…

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