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AutorenbildLady Aislinn

Die Raben-Oma



Tagebucheintrag des Raben-Knaben

“So wie ich sie in Erinnerung habe (nämlich sehr vage). Das, was mein Opa auf dem Kopf trug, interessierte sie nicht, sondern mehr die Zucht ihres Kindes. Ja, es GAB meinen Vater, trotz gegenteiliger Behauptungen. Und ich wurde nicht von einem Dämon gezeugt, sondern einem Vampir, und mein Vater suchte das Weite, nachdem ich geboren wurde.


Den größten Teil seines Lebens hatte er in Kellern und Verliesen verbracht. Das erklärt auch, warum ihn die Dorfbewohner nie zu Gesicht bekamen, denn er war es einfach nur gewohnt, in dunklen Kellern zu hausen, seit seiner Kindheit.

Meine Mutter ging, als ich noch mit den Mücken flog, still und leise die Treppen hinunter, um das zu tun, was Paare machen, wenn sie Kinder wollen. Mein Vater war blond und hatte dunkle Augen wie ein Spanier, was seltsam aussah und was ich geerbt habe.

Aber er war nicht dazu geboren, Vater zu sein, er hatte nicht einmal gelernt, mit anderen Menschen zu leben. Er hatte stets Angst vor Licht und Sonne, ich vermutete damals schon, er sei ein Vampir, und ich wusste nicht, wie recht ich damit hatte; er verabscheute Menschen, insbesondere Frauen, was seiner Mutter zu verdanken war, die ihn wie ein gefangenes Tier behandelte, oder war es zu seinem Schutz, ich kann es nicht mehr sagen. Großmutter drückte sich stets um eine Antwort, wenn sie gefragt wurde, warum ihr einziges Kind im Keller hauste und nur nachts das Haus verließ.


Mein behüteter Großvater mit dem Spargel und Bärlauch am Kopf bekam davon nicht viel mit, er war schon damals etwas seltsam im Oberstübchen und mehr um sein Gemüse besorgt als um den seltsamen Sohn im Tiefgeschoß. Ich habe erst spät erfahren, dass Vater lange nach meiner Geburt zurückgekehrt war, um seiner Mutter den Garaus zu machen. Er biss sie einfach nach alter Vampirmethode in den Hals und ihr dann den Kopf ab.

Großvaters Spargelzucht war damit beendet, auch sein restlicher, spärlich vorhandener Realitätssinn, weswegen er im Irrenhaus landete und den Rest seines Lebens ebenfalls hinter Mauern und Verliesen verbrachte, als hätte sich die Geschichte wiederholt. Großmutter irrlichtete noch lange ohne Kopf in Vollmondnächten umher, aber ihr Sohn achtete sorgsam darauf, dass sie ihn nicht mehr fand.

Ich bin vorsichtshalber immer noch unvermählt und gehe in jenen Nächten mehr als einmal zum Spiegel, um meine Zähne zu begutachten. Aber ich sehe meine, zugegebenermaßen furchtsame Visage darin, und das ist ein gutes Zeichen, glaube ich. Vielleicht trägt Mutter aber deshalb auch immer ein Kreuz und/oder Knoblauch mit sich. Ich hingegen weiß bis heute nicht, ob Großvater je erfahren hat, dass sein Sohn ein Kuckucksei war (oder bis zu seinem Ableben dachte, jener sei im Kopf bloß ein wenig sonderbar, wie er es war.)”

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