Die kleine, blonde Hexe
- Lady Aislinn
- 14. Juli 2024
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 12. Apr.
Es war einmal vor langer Zeit, da hauste auf Schloss Erbsenburg eine schöne, blonde Prinzessin, die es gar nicht scheute, mit ihren Untertanen zu verkehren.

So schloss sie eines Tages Freundschaft mit einer eher unscheinbaren, kleingewachsenen, rotbackigen und braunhaarigen Bauerstochter namens Gundula, als diese vom Dorf auf das Schloss kam, um dort die Wasch- und Bügel-Arbeiten zu verrichten.
Sie bezog Quartier im Gesindehaus, und von da an waren die beiden fast unzertrennlich, schäkerten über ihre Zukunft, und da die Prinzessin keinerlei Absichten hegte, sich zu verheiraten, beschlossen sie in ihrer unbekümmerten und jugendlich-naiven Art, eines Tages auf Reisen zu gehen und ihre Dienste als Abort-Reinigung anzubieten. Dann mussten sie immer laut losprusten, weil sie sich selber die absurdesten Namen gaben, Erbsenberg'sche Tiefenreinigung oder Wackmann & Co, obwohl die Bauerstochter war gar nicht recht wacker in ihrer zugeteilten Arbeit zugegen war (und die Männer der Prinzessin bald auf die Nerven gingen).
Die Prinzessin setzte sich daher bei ihrem Vater dafür ein, dass Gunda die gleiche Erziehung in Sachen Lesen, Schreiben und Algebra erhielt. Beim Singen und Musizieren waren allerdings die Bemühungen umsonst, denn Gunda brachte keinen richtigen Ton hervor und malte dazu auch noch grässliche Buchstaben aufs Pergament. Mit der Zeit wurde sie immer nachlässiger und versäumte sogar die Stunden des Studierens, ließ die Prinzessin mitunter warten, was sich gar nicht gehörte oder kam erst gar nicht zur vereinbarten Stickrunde am Abend.
Das wurde dem Vater schließlich zu bunt, weil er seine Tochter darunter leiden sah, und er verbannte die sogenannte Freundin vom Hof, sodass sich die Mädchen mit der Zeit ganz aus den Augen verloren. Gunda heiratete schließlich einen Medicus aus dem Süden, denn sie wollte unbedingt etwas Besseres werden, und reiste mit ihm fort in seine Heimat. Wie sie sich den gelehrten Mann angeln konnte, blieb der Prinzessin fortan ein Rätsel, denn sie trauerte immer noch um ihre ehemals beste Freundin. Gerüchteweise habe Gunda ihr auf dem Schloss erworbenes Wissen dazu verwendet, um dem schlichten Haushalt ihrer Eltern und der einfachen und harten Arbeit zu entkommen. (Anscheinend hatte sie doch bei den Fremdsprachen aufgepasst, diese untreue Tröte, dachte die Prinzessin verstimmt. Und so waren ihr vermutlich auch der italienische Chirurg Gasparo Tagliacozzi und sein Buch „De Curtorum Chirurgia per Insitionem“ noch bekannt. Diese Veröffentlichung, ein Grundstein der modernen Plastischen Chirurgie, war neben Hildegard von Bingens Aufzeichnungen eines der meistgelesenen Skripten der Prinzessin.)
So verging Jahr um Jahr, und die Prinzessin zeigte noch immer keine Anstalten, sich zu verheiraten, sondern reifte zu einer etwas scheel beäugten Kräuterkundigen heran. Als Unterhaltung dienten ihr einige Kammerzofen, deren aufgeregtes Geschwätz die Prinzessin bald langweilte, der Besuch von hoffnungsfrohem männlichen adeligen Jungvolk, das aber bald wieder ernüchtert abzog und ihre Pferde, vor denen Gunda mehr als großen Respekt gehabt hatte. Und natürlich ihre Bücher, Studien und eigenen Schriften.
Umso überraschter waren die Erbsenburger, als eines Tages ein kleingewachsenes, blond gebleichtes Geschöpf mit dünnen Haaren und kohleumrandeten Augen am Tor um Einlass bat. Da niemand die junge Frau kannte, rief man nach der Prinzessin, die etwas verärgert ob der Störung war und ebenso ratlos und schließlich frierend (man schrieb Januar) vor der Frau stand, die allem Anschein nach eine umherziehende Bettlerin war. Der Kleidung nach zu schließen war sie nicht von hohem Stand, ja sogar ziemlich kurios gekleidet mit gestrickter Kappe und fremdländischem Umhang. "Erkennst du mich denn nicht mehr?" fragte die blond gebleichte Frau. "Ich bin es, die Gunda!" Befremdet ließ sich die Prinzessin umarmen, denn sie erkannte tatsächlich nichts mehr an ihrer einstigen Freundin, außer dass sie immer noch so dünn war und viel plapperte. Die stürmische Begrüßung musste wohl an den seltsamen Gewohnheiten ihrer südlichen Landsleute liegen. Selbst der Vater entkam ihrem Überschwang nicht und stand stocksteif daneben. "Nein", sagte die Prinzessin aufrichtig, "du hast dich völlig verändert". Wie eine kleine Hure oder Hexe siehst du aus, dachte sie. "Was, die Augen, die Nase, der Mund? Gar nichts mehr?" plapperte Gunda weiter. "Alles anders, und du wirkst so aufgeplustert." "Nein, nein, das muss an meinen Zahnschmerzen liegen." Na klar, dachte die Prinzessin, und ich heiße Hugo. "Ach weißt du, du warst früher blond, und ich dunkel, und jetzt ist es umgekehrt", ein letzter Versuch Gundas, sich aus der Misere, in die sie sich geredet hatte, zu flüchten. "Das wird es wohl sein."
(In der Tat trug die Prinzessin ihre Haare dunkler als gewöhnlich, weil sie fand, dies stünde ihrer aufmüpfigen Art besser als das langweilige Straßenköterblond.)
Endlich, nach einer langen halben Stunde machte sich Gunda ans Verabschieden und flog der Ex-Freundin wieder um den Hals. "Mein Kutscher wartet draußen auf mich", sagte sie noch, und die Prinzessin war erstaunt und etwas pikiert, wie hoch Gunda aufgestiegen war mithilfe des reichen Medicus.
"Ich komme aber sobald wie möglich wieder, spätestens in einem Monat", sagte diese zum Abschied, "versprochen!"
Die Prinzessin nickte nur lahm. Befremdet, weil sie ihre beste Freundin nicht wieder erkannte, nicht nur an ihrer äußerlichen Veränderung, sondern auch in ihrer fast zu selbstbewussten Art. Mit Verlaub: fast ein bisschen größenwahnsinnig...
Gunda versetzte die Erbsenburgerin natürlich wieder einmal, Monat für Monat, bis wieder ein Jahr verging, und auch ein zweites.
Nicht sonderlich verwundert, vielleicht sogar ein wenig erleichtert nahm die Prinzessin ihre Unzuverlässigkeit zur Kenntnis, denn vielleicht würde ihr enges Verhältnis nie wieder so werden wie früher, und es war besser so, dachte sie. Mochte man sich auch äußerlich verändern, manche (schlechten) Eigenschaften bleiben einem eben das ganze Leben erhalten.