• Aus: Paul Watzlawick: Anleitung zum Unglücklichsein
"Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommen ihm Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht’s mir wirklich. Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er “Guten Tag” sagen kann, schreit ihn unser Mann an: “Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel!”
"Im Sessel sitzend, blicken Sie bitte durchs Fenster in den Himmel. Mit etwas Geschick werden Sie in Ihrem Blickfeld bald zahlreiche winzige, bläschenartige Kreise wahrnehmen, die bei Stillhalten der Augen langsam nach unten sinken, beim Zwinkern aber wieder hinaufschnellen. Bemerken Sie ferner, dass diese Kreise immer zahlreicher und größer zu werden scheinen, je mehr Sie sich auf sie konzentrieren. Erwägen Sie die Möglichkeit, dass es sich um eine gefährliche Erkrankung handelt, denn wenn die Kreise einmal Ihr ganzes Gesichtsfeld ausfüllen, werden Sie äußerst sehbehindert sein. Gehen Sie zum Augenarzt. Er wird Ihnen zu erklären versuchen, dass es sich um die ganz harmlosen mouches volantes handelt. Nehmen Sie dann entweder an, dass er Masern hatte, als diese Krankheit in der Universitäts-Augenklinik den Medizinstudenten seines Jahrgangs erklärt wurde, oder dass er Sie aus reiner Nächstenliebe nicht vom unheilbaren Verlauf Ihrer Krankheit informieren will.
Sollte die Sache mit den mouches volantes nicht recht klappen, so brauchen Sie die Flinte noch lange nicht ins Korn zu werfen. Unsere Ohren bieten eine gleichwertige Ausweichlösung. Gehen Sie in einen möglichst stillen Raum und stellen Sie fest, dass Sie plötzlich ein Summen, Surren, leichtes Pfeifen oder einen ähnlichen, gleichbleibenden Ton in Ihren Ohren feststellen können. Unter normalen Alltagsbedingungen ist der Ton zwar durch die Umweltgeräusche überdeckt; mit entsprechender Hingabe dürften Sie es aber fertigbringen, den Ton immer häufiger und lauter wahrzunehmen. Gehen Sie schließlich zum Arzt. Von hier ab gilt Übung Nr. 3, mit der Ausnahme, dass der Arzt die Sache als normalen Tinnitus verharmlosen wollen wird. (Besondere Anweisung für Medizinstudenten: Übungen 3 und 4 entfallen für Sie. Sie sind ohnedies genügend damit beschäftigt, in sich die fünftausend Symptome zu entdecken, auf denen sich die Diagnostik der Inneren Medizin allein aufbaut - von den anderen ärztlichen Spezialgebieten ganz zu schweigen.)"
Paul Watzlawick, geboren 1921 in Villach/Kärnten, studierte Philosophie und Sprachen. Psychotherapeutische Ausbildung am C.G. Jung-Institut in Zürich. 1957 bis 1960 Professor für Psychotherapie in El Salvador, später lehrte er an der Stanford University. Er starb 2007 in Palo Alto, Kalifornien. Zahlreiche Veröffentlichungen, darunter Anleitung zum Unglücklichsein.
• ‘Exzentriker’, David Weeks, Jamie James, London, 1995
"In Gaststätten, Waschsalons, Supermärkten, Bibliotheken, Universitätsinstituten und anderen Gebäuden der schottischen Hauptstadt tauchten 1984 Karteikarten mit einer Kleinanzeige auf: "Wenn Sie glauben, dass Sie exzentrisch sein könnten, rufen Sie Dr. David Weeks im Royal Edinburgh Hospital an..."
"Die Leute meinen, dass ich, nur weil ich eine Frau bin, sorgend, pflegend und auf Menschen eingestellt sein muss. Sie wollen nicht glauben, dass es meine glücklichsten Stunden sind, wenn ich mit meinem Schreiben, Malen etc. alleine bin. Sie meinen, dass ich mich auf meine Arbeit stürze, um zu kompensieren, dass ich nicht verheiratet bin. Meine Bekannten meine Familie machen sich Sorgen um mich, weil ich nicht ausgehe. Ich glaube nicht, dass männliche Künstler derart über ihr Sozialleben ausgefragt werden. Die Leute respektieren ihr Einsamkeitsbedürfnis. Sagt ein männlicher Künstler, dass er sich zurückziehen und schöpferisch tätig sein will, heißt es, er nimmt seine Arbeit ernst. Wenn ich dasselbe tue [wenn ich kreativ tätig bin], bin ich entweder egoistisch oder habe ein psychisches Problem…"
"Ohne Exzentrik", meint David Weeks, "gäbe es bei uns nur ein graues Einerlei, eine Gleichschaltung. [...] Ohne Exzentrik wäre unsere Welt weniger bunt, weniger spannend, weniger unterschiedlich."
(…) Deutlich grenzt D. Weeks das Exzentrische vom Pathologischen ab. Wurden die Begriffe “Exzentrik” und “Wahnsinn” früher fast synonym zur Beschreibung von seltsamem und unberechenbarem Verhalten angewandt, so ist mittlerweile die Diagnose “Exzentrität” aus den Akten nahezu verschwunden. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Psychologie normabweichendes Verhalten toleriert. Psychologen neigen jedoch, so Weeks, immer stärker dazu, in einer “esoterischen Fachsprache zu kommunizieren, die gemeinsame Perspektiven und Erwartungen reflektiert”. Dies ist sowohl ein Hinweis darauf, wie so manche Modekrankheit entsteht, als auch eine Kritik daran, dass die Psychologie jedem auffälligen Verhaltensmerkmal einen behandlungswürdigen resp. krankenkassentauglichen Namen geben kann.
So werden Exzentriker oft mit dem Befund der Schizophrenie belegt. Eine vollständige Fehldiagnose, wie die Studie behauptet, da Exzentriker weder Zwangshandlungen begingen noch Zwangsvorstellungen nachhingen, sondern sich ihres Tuns so viel oder so wenig bewusst seien wie alle anderen Menschen auch. Ganz im Gegenteil zerstörten die “spontanen Problemlösungen” der Exzentriker gerade den “Nährboden für Neurosen”.
Exzentrik hat, und darauf hinzuweisen zeichnet die Studie aus, nichts mit psychischen Krankheiten zu tun, denn “Krankheit impliziert Leiden und das Bedürfnis nach Heilung”, so Weeks, was auf die meisten Exzentriker sicher nicht zutreffe. Ganz im Gegenteil hätten Exzentriker einen “rebellischen Spaß” an ihren Normabweichungen, seien insgesamt nicht nur glücklicher, sondern auch gesünder als Konformisten. Weeks resümiert: “Originelles Denken scheint uns besser zu bekommen als stumpfsinnige Konformität. Immer wieder betonen sie (die Exzentriker; G.U.), wie wesentlich Humor für ihr Wohlbefinden und ihre Selbstachtung in einer zunehmend trostlosen und konformistischen Welt ist.” quelle