Es ergab sich, dass der Rabenjunge eines schönen Tages auf Brautschau ging, weil ihn seine Mutter freundlich darauf hinwies und er selbst ab und zu das Verlangen nach einer Gefährtin hatte. Doch das stellte sich alles als nicht so einfach heraus....
Es war bekannt, dass der Junge reife Damen bevorzugte (wenn überhaupt), weswegen ihm seine Mutter vorschlug, eine Reise zu seiner bis dahin unbekannten Base zu unternehmen, und, falls ihm diese zusagte, zu ehelichen, weil die Dorfbewohner bereits munkelten, er sei dem männlichen Geschlecht zugetan. Da er über seine dunklen Abstammung väterlicherseits sehr wohl Bescheid wusste, war er stets etwas vorsichtig gegenüber den "Weibern" gewesen, ja, er war sogar so unerfahren und ungeschickt, dass er es bis dato vermieden hatte, mit ihnen näheren Kontakt aufzunehmen.
Seufzend ergab er sich dem Wunsch seiner Mutter und bereitete sich schon lange vor der Abreise auf die Gegenüberstellung mit seiner unbekannten Base vor, sodass ihm der Schlaf verwehrt und er schon von Heimweh geplagt wurde, wenn er nur an die Reise und die fremde Stadt dachte.
Später sollte er in sein Tagebuch notieren:
"Als es schließlich soweit war und ich mich feuchten Auges von meiner Mutter trennte (wie peinlich, war ich doch kein kleines Kind mehr!), staunte der Kutscher nicht schlecht über den Umfang meines Reisegepäcks, hatte man mich doch mit allerlei Reiseproviant versorgt, um mich über den heimatlichen Verlust hinwegzutrösten und mich wohlversorgt in die fremde Stadt zu schicken. Neben dem vorangegangen Schlafentzug plagte mich nun auch der fehlende Tabak, denn der Kutscher hielt nur einmal an für eine Pause zur allgemeinen Erleichterung. An einer schäbigen Poststelle sah ich mich gezwungen, eine andere Kutsche zu besteigen, was mir niemand zuvor mitgeteilt hatte, und da ich diese nicht sofort vernahm, wurde ich von meiner ersten Panik dieser Reise befallen, da ich doch auch mit einem umfangreichen Gepäck hantieren musste.
Endlich angekommen in den Toren der Stadt wurde ich nicht empfangen, was in mir einen weiteren Schweißausbruch und Verstimmung hervorrief. Da stand keine Base bereit, die mir den Weg wies, so wie ich es mir vorgestellt hatte. Also schickte ich einen kleinen, diensteifrigen Boten mit einigen Münzen zu der angegebenen Adresse, um der Base von meiner Ankunft zu berichten. Als diese endlich bei der Post-Station eintraf, erwartete mich die nächste unangenehme Überraschung: sie trug einen hässlichen, kleinen Hund auf dem Arm, der im Entfernten einem Mops ähnelte und ein ebenso hässliches Kleid aus rosa Tüll und Spitzen. Sie beteiligte sich weder am mühsamen Tragen des Gepäcks noch zeigte sie Anstalten, mich zu ermuntern, sondern lotste mich umständlich durch die Stadt, von deren Gestank und Lärm ich bald Kopfschmerzen bekam. Zum Glück hauste sie etwas außerhalb, in einem zugegebenermaßen eigenartigen, weil ebenso rosafarbenen Gemäuer, das zu ihrer Berufung als angehender Heilkundigen so gar nicht passte (dies war der ausschlaggebende Grund meiner Mutter gewesen, sie als mögliche geeignete Heirats-Kandidatin auszuwählen).
Sogleich tischte sie mir eine "gesunde" Mahlzeit auf, von deren Bärlauch-Geruch mir übel wurde, aber sie zeigte noch keinerlei besonderes Interesse an mir, sondern schlug mir statt dessen einen erholsamen Mittagsschlaf vor, wie sie es nannte, der mir natürlich nicht beschieden war. Nach einer zweiten Erkundung der Umgebung (und recht idyllischen Landschaft) im inzwischen aufgezogenen Regen, der mich kaum erheiterte, sondern durchnässte, stand ein ungewöhnliches, mir fremdes und deftiges Mahl auf dem Programm, das mir wiederum heftige Magenbeschwerden bescherte. Immer noch trug sie dieses bonbonfarbige Rosa, das mir so gar nicht zusagen wollte, ansonsten zeigte sie wenig Gefühle und verschränkte indes bei jeder Gelegenheit abweisend die Arme. Stotternd legte ich ihr schließlich mein Herz zu Füßen, in vernünftigen Sätzen zu sprechen, das war mir während des gesamten Aufenthaltes verwehrt.
Statt einer Antwort schlug sie mir zur Erholung eine kleine Behandlung mit heißen, runden Steinen vor und verbrannte mir beinahe die Haut auf dem Rücken, was ich zähneknirschend zur Kenntnis nahm. Vor lauter Aufregung kritzelte ich anschließend nur krude Zeilen und ein paar schwarze Kleckse in ihr umfangreiches Buch für Gäste, die jedem, der ihr Haus betrat, gereicht wurden. (Meiner Seel, und darin bin ich nun für immer verewigt!) Und in den nächsten Tagen kam es noch schlimmer: ich, der ich noch nie ein tiefes Wasser gesehen hatte, musste auf ihren forschen Zuruf eintauchen in die kalten Tiefen des dunklen Teiches nahe ihrer Behausung, weil sie mich nun so zu erheitern und erfrischen gedachte. Im hüfthohen Wasser stehend und frierend befiel mich weitere starke Angst, sodass ich lautstark um ihre Hilfe rief. Und es musste an meinem Rücken gezischt haben wie beim Schmied, der sein Eisen in das Wasser tauchte.
Am Heimweg verlor ich noch dazu die Spur, weil ich vor lauter Erschöpfung immer langsamer wurde und mich daraufhin im Wald verlief. Bis sie mich schlussendlich fand, war ich einem nahe am Zusammenbruch.
Die Nächte bescherten mir größtenteils Schlaflosigkeit und dazu noch lautes Würgen, sodass ich sie aus dem Schlaf riss, denn ich ruhte auf einer provisorischen Pritsche, sie gleich daneben, ohne schützende Tür, sodass ich vernahm, wie sie atmete und manchmal auch erheblich schnarchte.
Den Kräuter-Tee, den sie mir eines Nachts daraufhin braute, sie in ein hellblaues, geblümtes Nachtgewand gehüllt, schüttete ich mir, linkisch wie ich war, brühend heiß über den Schoß. Vor lauter Schmerzen würgte ich nur noch heftiger. Tags darauf erfolgte der Besuch einer Schlossruine, dessen Mauern einst ein rechter Bösewicht bewohnte, der alles Fremdländische und Andersdenkende bekämpfte und verfolgte und zu seinen Untertanen nicht eben freundlich war, sie zuhauf köpfte und verscharren ließ. Mir brach erneut der Schweiß aus, denn vielleicht irrte sein böser Geist noch irgendwo umher: Meine Base, jüdischen Geschlechts, wenn auch nur halb, und ihr Bekannter, der uns begleitete, den Männern zugetan! Nebenbei schien mir, als würde dieser mir vertraut zu nahe kommen und Avancen machen, aber wahrscheinlich bildete ich mir das nur ein.
Beim Anblick der imposanten Ruinen verschlug es mir indes schier den Atem, und so trug ich pathetisch ein langes Gedicht vor, was mir in jenem Moment sehr eindrucksvoll erschien, aber nur peinliches Schweigen hervorrief.
Der Burgwächter schließlich setzte uns allesamt vor das Tor, weil mir unser Begleiter nun offensichtlich und unanständig in den Schritt fasste. Der Peinlichkeiten nicht genug...!
Bei den Mahlzeiten, meist zu dritt eingenommen, schwieg ich, teils aus Erschöpfung, teils aus Enttäuschung. In meiner fahrigen Unkonzentriertheit löste ich beinahe einen Hausbrand aus, als ich das Herdfeuer schürte und den Funkenflug missachtete und ließ irrtümlich die Türe offen stehen, worauf die Katze spurlos im Nichts verschwand (und erst nach Tagen wieder kam, floh- und zeckenbehangen).
Die Abreise gestaltete sich teils erleichtert, teils ernüchtert, was wohl meine Mutter zu meinen Erkundungen sagen würde. Ich sah meine Base nie wieder. Schlafentzug, Nahrungsentzug und Tabakentzug, das hatte mich schlicht und ergreifend übel mitgenommen, und anscheinend war ich nicht dafür geeignet, eine nähere Beziehung einzugehen, weil mich die Gefühle überforderten. Meine Base war zwar bemüht, mir einen halbwegs erträglichen Aufenthalt zu bieten, welcher jedoch kläglich an meinen Unzulänglichkeiten gescheitert war, und das, obwohl sie um Einiges älter war, wie ich es eigentlich mochte. Andererseits waren wir offenkundig verwandt und uns im Grunde sehr fremd geblieben. Ich denke auch, zwei sonderliche Gestalten miteinander hausend, das konnte kein gutes Ende nehmen; meine dunkle Seite war tragisch und geheimnisvoll, sie aber voller Tatenkraft, unbeschwert und mit einem Anhang esoterisch angehauchter Hexen oder solchen von anderen Ufer, man möge mir den Ausdruck verzeihen. Mutter, ich habe es versucht, sei mir nicht gram. Ich werde alleine bleiben. Alleine, aber nicht einsam...