Ein romantisches Märchen, nix Grausliches
Es war einmal eine Prinzessin, die sollte verheiratet werden, und begab sich deshalb mit ihrem halben Hofstaat zu jener Burg, in der der ihr anzutrauende Prinz weilte. Die Reise war beschwerlich, obwohl sie auf einem sanften Zelter ritt und langweilte sie auch sehr, weil sie außer den Bediensteten keine Begleiter hatte und sie das Gespräch über Kinder und Küche äußerst frustrierend fand.
Am Abend ihrer Ankunft im Schloss des Heiratskandidaten war sie so müde, dass sie am Stuhl einzunicken drohte, und nicht einmal der Anblick des schönen blonden Jünglings, der sie nicht aus den Augen ließ und ihr ein breites Grinsen schenkte, konnte sie erheitern. Sie fand ihn arrogant, eitel und affektiert und wünschte nichts weiter als ein weiches Bett anstatt mühsame Konversation.
Zum Glück saß sie neben ihrer Mutter und nicht neben dem eitlen Geck, und an ihrer anderen Seite thronte der Vater in weinseliger Stimmung, da er den schönen Schwiegersohn bereits in einer großen Kinderstube mit seiner Tochter sah.
Die Prinzessin mühte sich mit den dargebotenen Köstlichkeiten ab, als plötzlich eine leise, aber äußerst angenehme und sonore Stimme an ihr Ohr klang, die flüsterte, ob ihr der Wein nicht munde, weil sie so teilnahmslos da saß. Hinter ihr stand der Mundschenk, und sie musste kurz tief Luft holen, weil ihr Herz plötzlich bis zum Hals schlug.
Der junge Mann hatte schwarzgelocktes Haar und eine markante Nase, ebenso wie ein energisches Kinn, aber die Nase machte ihn umso interessanter, weil sie leicht gebogen und sehr adelig aussah. Warum werdet Ihr auf einmal so blass? wollte der Mundschenk wissen und lächelte herzerweichend. Ist euch die Atmosphäre nicht genehm? Seine grünen Augen funkelten voll Übermut und jugendlichem Charme.
Sie sei nur furchtbar müde, antwortete sie mühsam und wolle ihr Gemach aufsuchen. Sie hatte plötzlich die eigenartige Vorstellung, dass sie wie Rapunzel einst ihr Haar aus dem Fenster ließ, um den schwarzgelockten Mann an ihrer Zofe vorbei zu schmuggeln, dass er sie mit seiner Stimme in den Schlaf sänge. Sollte ihre Zofe die sanften Klänge vernehmen, würde sie ihn unter ihren Daunenbetten verstecken und den Vorhang schließen und sie zum Stillschweigen bringen.
Mundschenk, schenk mir deinen Mund! Süßer als Wein klingt dein Wort….in meiner Brust ein seltsames Weh, deine Augen, so tief wie die See, sie führen mich fort an einen seltsamen Ort….
Sie erschrak fürchterlich, als habe sie die Worte ausgesprochen, doch alles ringsherum ging seinen gewohnten Gang, nur der Mundschenk blickte sie unverwandt an, als hatte er eben die gleichen Gedanken wie sie. War der Wein mit einem Liebestrank versehen? Welch absurde Vorstellung, einen wildfremden Mann unter ihrem Bett zu verstecken, wo sie doch dem schönen blonden Jüngling versprochen war.