Als die Rabenfrau jung war…
- Lady Aislinn
- 8. Juni 2024
- 2 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 12. Apr.

Bis heute ist kein Bild der Rabenfrau überliefert, denn ihre Vergangenheit ist ebenso geheimnisvoll wie ihre Erscheinung, meist ist sie in Begleitung ihres Knaben, von dem man munkelt, seine “Entstehung” sei nicht mit rechten Dingen zugegangen.
Eigentlich war er plötzlich da, sodass die Kunde geht, ein Rabe habe den Säugling eines Tages auf ihren Stufen abgelegt. Der Knabe war von einem hellen Blond, die Rabenfrau aber hatte dichtes schwarzes Haar, das sie meist lose im Nacken drapierte.
Der Junge hatte hingegen dunkle Augen, was in Anbetracht der hellen Haare etwas fremdartig erschien, die Rabenfrau, die sie Mutter nannten, aber die Farbe von einem dunklem Blau, hypnotisch fast, weswegen sie meist die Augen niederschlug, sollten ihr andere Frauen begegnen, die ob ihrer schwarzen Gewandung ohnehin schon das Kreuz schlugen, als fürchteten sie, der Beelzebub persönlich sei ihnen begegnet.
Das Rabenmädchen war eigentlich ein ganz normales Kind gewesen, außer den Phasen von Trübsinn, der sie gelegentlich befiel, insbesondere, als ihre geliebte Mutter früh das Zeitliche segnete, und da war auch schon längst ihr wundersamer Vater gestorben, der wunderliche Alte mit den Raben im Bart und der Augenklappe. Stets umgeben war sie von ihren schwarzen gefiederten Freunden, die winters wie sommers scharenweise und zum Ärger der Nachbarschaft auf den Bäumen nisteten und schliefen und sich zutraulich dem Mädchen näherten, das ihnen Futter zukommen ließ.
Sie hatte Mitleid mit Hinkebein und seiner Gefährtin und scherte sich nicht um den schlechten Ruf, der ihnen vorauseilte, wenn sie sich auf dem Fensterbrett niederließen und um Brotkrumen bettelten.
Mit der Zeit wusste niemand mehr ihren richtigen Namen, da man sie nur mehr die Rabenfrau nannte. Nie ward ein Mann in ihrer Nähe gesehen, was sie für die Dorfbewohner umso verdächtiger machte, und als der blonde Säugling eines Tages in die Wiege gelegt wurde, entstanden allerlei üble Gerüchte, sie habe ihre Schwangerschaft versteckt und man wisse von keinem Vater, ob ihr wohl ein Dämon beigelegen sei und wer ihre Wehmutter gewesen sei, denn im Dorf wusste man nichts davon.
Zauberei musste im Spiel gewesen sein, und man munkelte allerlei fantastisches Zeug und zeigte mit dem Finger auf den Balg, wenn sie nicht hersah. Mit der Zeit und als der Knabe heranwuchs, wurde die Rabenfrau darob immer menschenscheuer und auch sonderlicher, und deshalb entstanden all diese Märchen und Erzählungen, die ich hier niederschreibe, denn sie sind zum Teil wahr und auch wieder nicht.
Der geneigte Leser möge entscheiden, was zutrifft, und auch dann hat er wahrscheinlich nicht immer recht….